Ein Ausflug in die Welt der Materialwissenschaften mit ETH-Professor André R. Studart
Die Entwicklung neuartiger Materialien legt den Grundstein für bahnbrechende Errungenschaften mit Nutzen im täglichen Leben. Klar geht es dabei auch um materielle Werte (sprich: Geld, daher auch der Titel, mit Gruss an Madonna). Der Fokus liegt in diesem Post aber tatsächlich auf den Werkstoffen selbst, denn das Fachgebiet ist einfach unglaublich faszinierend!
Das sieht auch Studart, Leiter des Labors für Komplexe Materialien, so: „Materialwissenschaft ist nicht nur extrem spannend, sondern auch hochgradig interdisziplinär“, unterstreicht er gleich zu Beginn unseres Treffens.
Seine Forschung etwa bringt ihn in Kontakt mit Ingenieuren aller Art (von der Luftfahrt über Mechanik bis hin zu Robotik und Bau), mit Pharmakologen, Gesundheitswissenschaftlern und sogar Zoologen. Fundierte Kenntnisse in Physik, Chemie, Mathematik und Biologie verbinden sich dadurch mit Mechanik und Verarbeitungstechnik.
MATERIAL NEU GEDACHT
Wollte man früher einen harten, belastbaren und tragfähigen Werkstoff haben, suchte man im Periodensystem den entsprechenden Werkstoff und das war’s dann. Heute geht die Materialwissenschaft wesentlich raffinierter vor, um neue Werkstoffe und/oder effizientere Herstellungsverfahren zu entwickeln. Nachfolgend einige Beispiele:
Kalkstein – hartes, extrem leichtes Bau-Material
Kalziumkarbonat (Kreide, Kalk)
Die Tage der Wandtafel sind gezählt, doch die meisten von uns kennen sie noch, die Kreide. Damit lassen sich etwa Strassen wunderbar bunt bemalen – nur schade, dass sie so leicht brechen…
Auf den ersten Blick ist Kreide bzw. Kalkstein kein Material, das hohe Belastbarkeit und Bruchsicherheit verspricht. Allerdings besteht auch Perlmutt aus Kalziumkarbonat und dieses Material schimmert nicht nur betörend, es ist auch kratzfest und extrem hart.
Diese Tatsache veranlasste André Studart und sein Team, genauer hinzuschauen. Was sie entdeckten: Perlmutt besteht aus verschiedenen, übereinander gelagerten Schichten von Kalkstein, die sich in ihrer strukturellen Anordnung unterscheiden.
Nach einigen Anläufen gelang es gelang es ihnen, Perlmutt aus normalem Kalkstein herzustellen, indem sie diesen mit Eisen-Staub verwirbelten und anschliessend mithilfe von Magneten Schicht für Schicht in der gewünschten Richtung anordneten.
Effizienteres Herstellungsverfahren für die Bauindustrie
Studart und sein Team blieben in Sachen Kalkstein am Ball und fanden heraus, dass sich das poröse Material, wenn es bei Raumtemperatur unter Wasser mit hohem Druck zusammengepresst wird, zu einem extrem leichten, tragfähigen Werkstoff verdichtet – ein vielversprechendes Baumaterial! Dies unter anderem auch deshalb, weil das von ihnen neu entwickelte Herstellungsverfahren ohne Zusatzstoffe auskommt und vergleichsweise wenig Energie verbraucht.
Edamame geben Anstoss zu keramischen „Fusilli“

Genau wie Perlmutt nutzt auch die Edamame-Bohne unterschiedlich angeordnete Schichten, um strukturelle Stabilität zu erreichen. Trocknet man die Schoten, so kringeln sich diese um die eigene Achse.
Diesem Prinzip folgend entwickelten Studart und sein Team einen Werkstoff aus Keramik, der sich während des Brennvorgangs wie von Zauberhand zu einer Spirale verdreht – ein völlig neuartiger Ansatz, um etwa Schrauben aus Keramik für Implantate o.ä. herzustellen.
Knochen – lebendige Implantate?
Ein weiteres, nahezu futuristisch anmutendes Forschungsprojekt von Professor Studart beschäftigt sich mit Implantaten. Gängige Werkstoffe für Implantate sind etwa chirurgischer Stahl, Titan, Keramik oder Polymere. Diese werden vom Körper vergleichsweise gut angenommen, bleiben jedoch dem Organismus letztlich immer fremd.

Was aber, wenn zum Beispiel ein künstliches Hüftgelenk vom Körper absorbiert werden d.h. mit dem Knochen verschmelzen könnte? Unsere Knochen sind ja lebendig, wachsen und erneuern sich bis ins hohe Alter.
Hier bewegt sich die Forschung an der Schnittstelle zwischen „totem“ und lebendigem Material… Studart selber tüftelt an einer Kombination von Kalziumkarbonat mit lebenden Organismen wie Mikroben (z.B. Bakterien), Pilzen und Pflanzenzellen. Gelingt das Projekt, wäre dies ein weiterer Meilenstein.
Ausblick: Nachhaltigkeit im Fokus
In der Materialwissenschaft ist unglaublich vieles in Bewegung – was hoffentlich dazu beitragen wird, die globale Klimakrise doch noch irgendwie in den Griff zu bekommen. Studart betont, dass neben der Vernetzung mit anderen Wissenschaften vor allem auch Nachhaltigkeit ein zentrales Anliegen der Forschung ist und mittlerweile zu den Top 5 Kriterien gehört.
Plastik durch Zellulose ersetzen
So laufen etwa Versuche mit Zellulose und 3D-Druckern, welche es ermöglichen sollen, Plastik zu ersetzen. Studarts Mitarbeiter Patrick Rühs und Manuel Schaffner entwickelten eine biokompatible Tinte aus lebenden Bakterien, die Giftstoffe abbauen oder hochreine Zellulose für biomedizinische Anwendungen produzieren können. Ihr neues Druckmaterial nannten die Wissenschaftler «Flink», was für «functional living ink» steht; die Technik wurde 2017 in der Fachzeitschrift Science Advances vorgestellt.
Bis Plastik wirklich vollständig durch Zellulose ersetzt werden kann, sollten wir alle dem Projekt Ocean Cleanup die Daumen drücken… Vor knapp drei Monaten, am 24. Juni, ist der gigantische „Meeres-Staubsauger“ erneut aufgebrochen. Diesmal klappt hoffentlich alles und es kann wie geplant möglichst viel (Mikro-)Plastik aus dem Pafzifik gefischt werden!
Wer den Treffpunkt Science City diesen Frühling verpasst hat, findet hier einen kurzen Dokfilm zu der Veranstaltungsreihe unter dem Motto: Das perfekte Material – Es lebt! Es lernt! Es heilt!.
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Exkurs: Die ETH
EINZIGARTIGES FUNDING-MODELL
Hierzulande machte die Eidgenössiche Technische Hochschule (ETH) jüngst eher wegen personeller Probleme von sich reden. Weltweit geniesst die ETH aber nach wie vor höchstes Ansehen und ist eine äusserst begehrte Arbeitgeberin, weil hier auch eine sogenannte High-Risk-Forschung möglich ist (Studart grinst und sagt: „You know, the crazy stuff“).
Möglich macht dies das einzigartige Finanzierungkonzept: An der ETH verfügt jedes Departement über ein eigenes, frei verwendbares Budget. Dadurch haben Forscherinnen und Forscher an der ETH beste Voraussetzungen für eine unabhängige Forschung, die rasch und flexibel umgesetzt werden kann und es zulässt, dass die Forschenden dabei ihrer Intution folgen. Diese sogenannten „high-risk“ Projekte sind immer wieder von Erfolg gekrönt und stärken der Ruf der ETH als führende Forschungsstätte.
Gemäss Studart hat höchstens noch das Max-Planck-Institut in Deutschland einen vergleichbaren Ansatz. Überall sonst auf der Welt müssen Forscherinnen und Forscher zuallererst einen gut begründeten Budget-Antrag stellen und diesen von einem Komitee absegnen lassen. Dabei vergehen im Schnitt rund 6-12 Monate vom Budget-Antrag bis zur Bewilligung – und höchstens 10% aller Anträge werden überhaupt gutgeheissen.
ZUGANG ZU TOP-FORSCHUNG FÜR SCHWEIZER NACHWUCHS
An der ETH sind insgesamt über 20’0000 Studierende aus 120 Ländern am Lernen und Forschen. Im Bachelor-Studiengang für Materialwissenschaften kommen rund 90% der Studierenden aus der Schweiz. Auf Master-Ebene sinkt der Anteil an inländischen Studierenden auf 70%, bei den Doktoranden sind es noch 25% Schweizerinnen und Schweizer. Auf Professur-Ebene wird in Studarts Departement „nur“ 1 von 15 Stellen von einem Schweizer besetzt.
Sind die Studierenden aus der Schweiz also im Nachteil? Ganz im Gegenteil, findet Studart. Er bewundert die konsequente Strategie und Offenheit der ETH, denn genau dadurch könne sie in jedem Fachgebiet absolute Spitzenkräfte an Bord holen. Diese wiederum unterrichten die Schweizer Studierenden – und legen so den Grundstein zu einer neuen Generation „hauseigener“ Forscherinnen und Forscher.
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… so, und nun der Schlenker zurück zu Madonna – have fun mit den 1980ies : ))
Das Video zu „Material Girl“ ist übrigens eine unumschränkte Hommage an – um nicht zu sagen Kopie von – Marilyn Monroes legendärem Song „Diamonds a girl’s best friend“… Drum für Fans der 1950er Jahre auch noch dieses Video: